Real Time Advertising: Wie man den Wert eines Menschen in 100 ms analysiert

Zwei Hände mit illustrierten Datensätzen
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Eine Konsequenz der Digitalisierung ist die Verfügbarkeit von kaum vorstellbaren Datenmengen über Kunden und ihr (Kauf-)Verhalten. Für viele Unternehmen stellt die nutzbringende Analyse dieser Daten aber nach wie vor eine große Herausforderung dar. Wie man das schafft – und zwar in Echtzeit, zeigt auf besonders eindrucksvolle Weise das Real Time Advertising.

In den letzten Jahren wurde viel über das Internet der Dinge geschrieben. Sehr präsent ist dabei stets die mit jedem Tag realer werdende Vision, dass wir bald von unzähligen Geräten umgeben sein werden, die Informationen über unser Leben sammeln und damit Umsätze erzielen – vom Kaufverhalten über aktuelle Krankheiten bis hin zur Familienplanung. Und weil natürlich kaum jemand auf die Teilhabe am Internet verzichten will, willigen wir gehorsam alle entsprechenden Nutzungsvereinbarungen ein. Und das sind nicht wenige. Haben Sie noch einen Überblick darüber, wo Sie überall einen Account erstellt haben? Ich habe mir im Selbstversuch mal die Mühe gemacht und nachgezählt: Es sind 145 Dienste – Tendenz steigend. Der überwiegende Teil dieser Dienste ist kostenlos. Hier zahle ich in der Regel mit den Daten, die ich über die Nutzung des Dienstes preisgebe.

In diesem Diskurs ist noch nicht erkennbar, dass der Trend der massenhaften Datensammlung durch irgendwelche Regularien entscheidend gebremst werden wird. Zwar gibt es vor allem in Deutschland und der EU eine ganze Reihe von nationalen und internationalen Gesetzen und Verordnungen, die personenbezogene Daten schützen sollen. Aber solange die Verbraucher ihre Daten freiwillig preisgeben, hilft das wenig (Verordnung (EU) 2016/679, Artikel 6, Abs. 1). Deutsche Unternehmen müssen sich also der Realität stellen, dass es diese Daten gibt und dass der Besitz solcher Daten schon jetzt einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil darstellen kann.

Viele Unternehmen befassen sich deshalb zurzeit fieberhaft damit, diese Daten irgendwie für sich sinnstiftend einzusetzen und stellen dafür sog. Data Scientists ein. Um ein vollständiges Kauf- oder Nutzungsprofil zu erstellen, reicht es in der Regel nicht aus, nur die von den eigenen Kunden gesammelten Daten zu berücksichtigen. Vielmehr müssen zusätzliche Daten von Dritten hinzugekauft und verknüpft werden. Das passiert mit sogenannten Data Management Plattformen. Sie identifizieren Benutzer geräteübergreifend anhand von Cookie-IDs oder gehashten E-Mail-Adressen. Alle Aktivitäten im Internet können diesen IDs zugeordnet werden, sodass im Laufe der Zeit umfassende Profile erstellt werden können. Dank Smartphones, Smart TVs und seit kurzem auch Amazons Alexa wachsen diese Profile zu riesigen Datenmengen an. Um sie in Echtzeit analysieren zu können, müssen Hardware, Algorithmen und Abfrageparameter bis ans Limit optimiert werden. Eine besondere Herausforderung stellt hier ein gutes Zusammenspiel dar zwischen dem Data Scientist einerseits, der die Analyse aus fachlicher Sicht verantwortet, und dem Data Engineer andererseits, der die komplizierte Big Data-Infrastruktur verantwortet. Nur wenn beide ihre Arbeit aufeinander abstimmen, können die gewünschten Analysen durchgeführt werden.

Was in den Augen vieler Verbraucher noch als reine Dystopie erscheint, ist längst Realität geworden. Denn dass Daten in solchen Größenordnungen schon heute in einer atemberaubenden Geschwindigkeit verteilt über das gesamte Internet analysiert und bewertet werden können, zeigt das Real-Time-Advertising auf besonders beeindruckende Weise. Surft ein Benutzer eine Webseite an, startet ein kompliziertes Bieterverfahren noch während die Seite lädt: Die Cookie-ID wird an ein ganzes Netzwerk von Werbefirmen versendet, die auf Basis ihrer Daten zunächst ermitteln, wie sehr das Profil des Benutzers zu aktuellen Kampagnen oder Produkten ihrer Klienten passt. In Abhängigkeit von diesem Ergebnis geben sie Gebote für die Anzeige ab. Ist das Bieterverfahren abgeschlossen, wird die entsprechende Werbung vom Browser in die Webseite geladen und der Betreiber der Webseite wird ausbezahlt. Das gesamte Verfahren – vom Ansteuern der Webseite bis zur Anzeige – passiert quasi unbemerkt in 100-200 Millisekunden. Zum Vergleich: Ein Lidschlag dauert etwa 300-400 Sekunden!

Ich finde es erstaunlich, mit welcher Geschwindigkeit sich die Werbebranche in den letzten Jahren digitalisiert hat. Sollten sich andere Branchen ähnlich entwickeln, müssen die Unternehmen sich und insbesondere ihre IT gezielt darauf vorbereiten. Zusammen mit der Universität Duisburg-Essen haben wir im CampusLab deshalb einen speziellen modularen Kurs entwickelt, mit dem wir IT-Fachkräfte gezielt dabei unterstützen, Digitalisierungspotentiale mit praktischen Methoden und Techniken strukturiert zu ermitteln und bis hin zur Spezifikation konkreter Serviceschnittstellen zu dokumentieren.

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